Old Daddy
-: "Old Daddy"
-: "Na, na, na"
-: "In Duisburg"
-: "Aha, dein alter Vater wohnt in Duisburg."
-: "Nein"
-: "Nicht?"
-: "Nein"
So kommen wir nicht weiter, der schwarze Grufti, leichenblaß
geschminkt, höchstens neunzehn, weiblich, ist sichtbar unsicher, aber
gewisse Regeln müssen eingehalten werden.
-: "Erstmal bin ich noch gar nicht so alt, zweitens wünscht
man erstmal einen guten Abend und drittens spricht man im ganzen Satz, 'Ich
möchte gerne nach Duisburg ins Old Daddy', gut, kenn ich, können
wir machen."
-: "Was kostet das denn?"
-: "Nun, es scheint ja ziemlich wichtig für dich zu sein,
so zirka sechzig DM."
Die Gruppe der Gruftis gehört nicht zu den potentiellen Kunden,
Matuschek erinnerte sich an einen Sonntagmorgen vor der Zeche Karl wo mindestens
dreihundert Gruftis an ihm vorbeigingen.
-: "Ich muss auch noch zurück, wahrscheinlich, ich hab noch
siebzig Mark."
-: "Okay, fünfzig und ich warte eine viertel Stunde, dann
ist die Rückfahrt umsonst, sonst ist es dein Problem."
-: "Ja."
Sie fuhren los, erstmal auf die Autobahn, Samstagnacht halb zwei,
als WDR III Hörer wurde Matuschek gerade von dem "Bolero" in der Fassung
von Gato Babieri verwöhnt, ein Novum in der Klassiknacht, aber die Situation
war zu angespannt um entspannt zu sein, es musste geredet werden.
-: "Wen suchst du denn?"
Aus dem schwarzen Kleidermeer kam eine Hand, verschwand und tauchte
mit einer Zigarette wieder auf.
-: "Kann man hier rauchen?"
-: "Klar"
-: "Meine Frau"
Kleine Pause - ihre Frau - Sprechen löst Spannung, was sag
ich denn darauf.
-: "Wie lange kennst du sie denn schon?"
-: "Vierzehn Tage, wir haben uns im Baikonur getroffen und heute
wollten wir uns im Queens treffen, dazwischen haben wir noch einmal telefoniert."
Das erinnerte Matuschek daran wie er mal einen Schwulen, jung ca.
zwanzig, nett und ein bißchen naiv zum Niederrhein gebracht hatte, in
ein "Straßendorf" oder eher eine Ansammlung von vier bis fünf Häusern.
Dort wohnte seine große Liebe, war gar nicht so einfach zu finden,
das Haus, die große Liebe wahrscheinlich auch nicht. Die beiden hatten
sich einmal gesehen und heute hatte ihn seine große Liebe in unserer
Heimatstadt versetzt. Wie zu erwarten wurde die Tür auch nicht geöffnet
- Sonntagmorgen vier Uhr - ich gab ihm das Handy - keiner nahm ab - ich bot
ihm an wieder mit zufahren - Nein - gut, ich ließ ihn stehen, gab ihm
noch eine Tafel Schokolade - ein Bus fuhr dar wahrscheinlich den ganzen Sonntag
nicht - Matuschek saß wieder in seinem Auto und fuhr in die Nacht.
-: "Und du meinst sie ist jetzt im Old Daddy?"
-: "Weisnich"
-: "Aber du kennst dort Leute die dich wieder mitnehmen?"
-: "Ne, war noch nie da."
-: "Vielleicht sollten wir besser zurückfahren?"
-: "Warum?"
-: "Okay, mein Angebot steht, fünfzehn Minuten warte ich,
dann ..."
Wir unterhielten uns dann noch ein wenig über Piercing, Nase,
Zunge, Augenbraue, waren deutlich zu sehen, aber noch lange nicht alle gepiercten
Stellen. Über Politik, war in sieben Worten erledigt, über Beruf,
das erstaunte mich doch ein wenig, Erzieherin im St. Ignatius Kindergarten
- ist das nicht der in der Robertastraße am Bahnhof Süd - sie
war auch ein bißchen älter als ich gedacht hatte, aber ich konnte
Menschen noch nie so gut einstufen, altersmäßig. Das Gespräch
kam auf Musik, außer Steve Cobain, hätte sie mir auch das New
Yorker Telefonbuch vorlesen können, auf Pädagogik "Laisser-faire"
klar, aber hätte ich bei St. Ignatius nicht erwartet.
Sie verschwand hinterm Eisengitter von Old Daddy und nach fünfzehn
Minuten saß Matuschek wieder in seinem Auto und fuhr in die Nacht.
Pussy
Majas Meerschweinchen ist krank, frißt nicht mehr, läuft
kaum noch, trink so gut wie nichts, selbst wenn die Katze des Hauses mal wieder
vor dem Gehege erscheint, zeigt es fast keine Reaktion. Frau Maria Theresa
Schnarrenberger-Weitkamp öffnet ihre veterinärärztliche Praxis
um acht, nach zwei jaulenden Schäferhunden, einem Hamster, zwei Katzen
und einem Vogel (wahrscheinlich Wellensittich in der Mauser) wird Pussy behandelt,
Pussy so heißt Majas Meerschweinchen, hat einen Knubbel im Bauch, Frau
Maria Theresa Schnarrenberger-Weitkamp rasiert Pussy fast vollständig,
macht einen langen Schnitt, hantiert fünf Minuten, dann kommen Maja
und die verbundene Pussy heraus ins Wartezimmer, wo Matuschek auf die beiden
wartet, er kann kein Blut sehen. Den ganzen Tag wird Pussy abwechselnd mit
Rotlicht bestrahlt, mit der Wärmflasche gewärmt mit der Pipette
gefüttert und darf sogar in den Salon, ohne sofortigen Verweis in den
Schuppen, pinkeln. Am nächsten Tag ist Pussy soweit wiederhergestellt,
dass der Verband gewechselt werden kann, die nackte Pussy wird liebevoll mit
einer Wundsalbe und einem neuen Verband versorgt. Jetzt möchte Maja in
den Kindergarten gefahren werden, gestern war das wegen der Meerschweinchenpflege
unmöglich. Im Flur treffen Maja und Matuschek auf Frau Anneliese Butterbrot,
gestandene Waldorf Erzieherin, ohne jeden Gruß brüllt Maja heraus
"Pussy ist nackt" was zu einer völlig ungewöhnlichen Rötung
Frau Butterbrots führt. "Kennen die beiden meinen Frauenarzt, gibt es
da nicht eine Schweigepflicht?", gedankenverloren geht sie zurück in
den Gruppenraum. Matuschek verabschiedet sich. Die paar Stufen wieder runter,
Matuschek sitz wieder in seinem Auto und fährt in den Tag.
© 1999 by ulrich prietz