Roberta 7 - Short Stories
Schwarze Mädchentraube

-: "Zehn, oder, ach, fünfzehn Big Mac Menüs."
-: "Bitte, wieviel denn jetzt?"
-: "Hälfte Cola, hälfte Fanta?"
Warum ich, denkt Matuschek, warum habe ich die "Besorgungsfahrt" nicht abgelehnt?
-: "Wieviel, dreizehn?"
-: "Jau, zur Messe Halle 12, Müller."
-: "Is in Ordnung Chef, kann aber ne Zeit dauern."
Die Burger waren in fünfzehn Minuten eingetütet, die Menschenschlange hinter mir, hatte sich langsam - warum geht es hier denn nicht weiter? - aufgelöst, nun stand die nette Kroatin aber in Gedanken versunken am Schalter.
-: "Eine Quittung hätte ich gern."
Sagste mal was, dachte Matuschek, die Kroatin sagte ja, bewegte sich aber immer noch nicht.
-: "... und eine große Tüte."
-: "Ja, ... aber Hälfte Cola, hälfte Fanta?
Da lag das Problem.
-: "Machen sie sieben Cola, sechs Fanta."
Der Rest verlief problemlos, Matuschek wurde per Handy, "jetzt durch das Tor, nach dem Stand mit den Vulkanisiermaschinen fährst du links, dreißig Meter, dann bei den blauen Stellwänden rechts", jau da sassen sie 'Müllers Waschstraßen Team, bürstenlos sauber', gelotst, freute sich, das er auch mal auf Teppichboden fahren durfte und fuhr wieder in die Nacht.

-: "Führen sie hier nicht"
Matuschek hatte schon wieder einen Auftrag, die ersten vier am Südfeld wollten nicht.
-: "Warum nicht?"
-: "Weiß nicht, vielleicht einen anderen Wein?"
-: "Nein"
-: "mmh"
-: "Nein, zwei Flaschen Schwarze Mädchentraube, die Jet am Kino, hat die."
-: "Da bin ich und die führen keine Schwarze Mädchentraube.
-: "Nicht"
-: "Nein"
-: "Es ist aber wichtig"
Gnade, dachte Matuschek.
-: "Was ich ihnen anbieten kann, sind z.B. zwei Flaschen Bordeaux."
-: "Haben die einen Korken."
-: "Ja"
-: "Ich hab aber keinen Korkenzieher."
-: "Moment ... 
Matuschek fragt den Tankwart.
-:  ... Wein mit Schraubverschluss führt die Jet gar nicht."
-: "..."
-: "Okay, okay, ich klapper noch zwei drei Tankstellen ab, dann melde ich mich nochmal."
-: "Danke"
Bei der zweiten wurde Matuschek fündig, nicht nur Wein mit Schraubverschluss, nein, Schwarze Mädchentraube.
-: "Der ist aber süß und macht einen dicken Kopf."
-: "Gib mir den Kassenbon, den Rest kannst du behalten."
Matuschek war genervt genug, das Haus sah aber gut aus, gepflegter Neubau, allerdings zu viele Klingeln, muss wohl ein Apartmenthaus sein.
-: "Morgen, zwei Flaschen Schwarze Mädchentraube, DM 32."
Alter Trick letzte Stelle immer zwei oder sieben, dann wird fast immer auf fünf oder den nächsten zehnerbetrag aufgerundet.
-: "Hier, stimmt so, warum macht ihr nichts?"
Ein Fünfziger, Matuschek schaute rechts, links, nach hinten, keiner da, ahh, wahrscheinlich meint sie den Pluralis majestatis.
-: "Bitte?"
-: "Und wenn sie jetzt alle verhungern?"
Matuschek ahnte fürchterliches, er sah sie sich nocheinmal an, hübsch, leicht angeheitert und sie hatte etwas ... etwas slawisches. Unvermittelt gebrauchte Matuschek das "Du".
-: "Du kommst aus Ex-Jugoslawien?"
-: "Kosovo"
-: "Nein"
-: "Möchtest du einen Wein?"
-: "Nein, vielleicht einen Kaffee."
Matuschek mag es nicht, mit "Radioproblemen" konfrontiert zu werden und gerade beim "Kosovo" ist er froh das er kein Entscheidungträger ist, nach dem Auseinanderfallen Jugoslawiens - Matuschek war oft da, meistens in Slowenien oder Kroatien - ist soviel Scheiße gelaufen und soviel Elend und Brutalität, das Matuschek davor lieber die Tür zumacht und seine Katze streichelt.
-: "Bist du Albanierin?"
-: "Kroatin, aber im Kosovo geboren und meine Eltern und Brüder "leben" da immer noch, hoffentlich."
-: "Ja"
-: "Warum macht ihr nichts?"
Matuschek verstand, konnte aber nicht antworten, er ist Pazifist, hat nie Gewalt ausgeübt, war jahrelang Vegetarier, wegen dem "Schlachten und der Haltung der Tiere", wollte den "Wehrdienst" verweigern, zu seiner Zeit gab es aber noch die "Gewissensprüfung". Bei der ersten wurde ihm bescheinigt das sein Gewissen nicht richtig tickt und das er deshalb genau der Richtige für die Bundeswehr ist.
Die zweite war recht kurz, der "Oberst" sagte: "Wir haben den Eindruck das ihre Gründe für die Verweigerung des Wehrdienstes nur vorgeschoben sind." Matuschek sagte: "Das kannst du dicke fette Sau auch gerade beurteilen."
Matuschek konnte gehen, verpflichtete sich zehn Jahre beim Technischen Hilfswerk, wurde freigestellt und hatte so nochmal seinen Kopf aus der Schlinge gezogen. 
Aber in diesem Konflikt -Warum macht ihr nichts?- Matuschek fühlt sich eigentlich eher als Kosmopolit, weniger als Deutscher, aber sollen die Weltpolizisten des "Weh of life" immer die Drecksarbeit machen, kann sich Deutschland da immer raushalten -gerade der Balkan ist problematisch- muss es da nicht auch Farbe bekennen?
Wenn es wenigstens ein UNO Mandat gebe und die Russen mitziehen würden, aber die Kosovo-Albaner, hilft es ihnen wirklich?
Der Kaffee ist fertig, Matuschek trinkt seine Tasse mit viel Milch, die Kroatin trinkt ihre Schwarze Mädchentraube. Matuschek gibt ihr den Fünfziger zurück.
-: "Versuch mal anzurufen, vielleicht geht es ihnen ja ganz gut, ich muss jetzt, trink nicht soviel."
-: "Ja"
-: "Tschau"
Die paar Stufen wieder runter, Matuschek sitzt wieder in seinem Auto und fährt.

© 1999 by ulrich prietz