04. London Taxi und der Navigator
Und kommt die goldene Herbsteszeit ... Matuschek hatte
den Sommer ganz gut hinter sich gebracht, die dieses Jahr etwas
reichlicheren heißen Tage, hatte er wenn möglich in seinem
abgedunkelten Arbeitszimmer verbracht, Temperaturen über 25°
Celsius waren ihm ein Graus. Mit Smilla hatte er dreimal oder viermal
telefoniert und einige eMails ausgetauscht, von coalmine gab es nach
wie vor kein Zeichen, wie auch, er kannte Matuschek gar nicht und
Smilla nur indirekt aus dem Chat, den Waschsalon hatte Matuschek
mittlerweile lokalisiert, den Mann auf dem Photo konnte er aber immer
noch nicht einordnen.
Matuschek hatte die ersten Tage der
Herbstferien an der
Ostsee
verbracht. Donnerstag fuhr er zurück um ein paar Tage Taxi zu
fahren,
als ihn im Cloppenburg Land, durch das er gerade tuckerte, stur die
Straße
entlang und nichts denken, ein Anruf erreichte, er könne sein
Peugeot
Taxi heute leider nicht fahren. "Na klasse, da hätte ich ja auch
noch
ein paar Tage bleiben können", sagte er verstimmt ins Handy.
Daraufhin
wurde ihm angeboten ein London Taxi von einem befreundeten Unternehmer
zu
fahren, nun gut, warum nicht, ist ja mal eine interessante Erfahrung.
Hier
saß er nun, vorne ganz allein, hinten war
eine Dame eingestiegen die zum Sugamber Weg gebracht werden wollte, den
Weg aber nicht beschreiben konnte, äußerst selten, die
meisten Fahrgäste kennen ihren Weg ganz ganz genau. Nicht nur das,
sie hatte auch kein Geld dabei, war aber so ganz nett, leicht
angeheitert, hatte wahrscheinlich alles vertrunken, so einigte
Matuschek sich mit ihr, das sie den Fahrpreis am
nächsten Tag auf sein Konto überweisen würde. Das London
Taxi hat einen Navigator, eine Einheit aus Radio und
Navigationsgerät,
schön platzsparend, aber deshalb auch recht umständlich zu
benutzen,
es gibt keine Tastatur, sondern eine Buchstabenreihe auf dem Display,
in
welcher man mit diversen Pfeil Tasten springen kann um sein
gewünschtes
Ziel einzugeben. Als dieses Matuschek endlich gelungen war, sagte die
recht
nette Navigator Stimme: "Bitte wenden!"
Nun ist der Halteplatz Handelshof aber am Ende der Hotelvorfahrt
und diese ist eine Einbahnstraße.
"Na, klappt's, ich nehm sechs,
äh, ich meine sechs, die sechs fährt da vorbei", kam es
von hinten.
Das brachte Matuschek nun auch nicht weiter, den wo die sechs
fährt,
wußte er leider nicht.
"Einen Moment noch", sagte Matuschek,
holte
den guten alten Stadtplan heraus und fuhr los, die Dame schaute etwas
irritiert,
wie Matuschek im Innenspiegel sah, lag wahrscheinlich an der durch die
Gegensprechanlage verzerrten Stimme Matuscheks. Er schaltete die
Gegensprechanlage erst mal aus, durch die offene Klappe in der
Trennscheibe konnte man das akustische Geschehen im Fahrgastraum auch
ganz gut verfolgen. Sie schlichen so dahin, Matuscheks Fahrgast hatte
es sich auf der sofaähnlichen Rücksitzbank bequem gemacht,
schien etwas zu träumen und schaute ab und an mal aus dem Fenster.
In ihrem jetzt recht hochgerutschen kurzen Rock sah sie sehr reizend
aus.
"Hast du das gesehen? Da da da",
keuchte sie
plötzlich in die Fahrgastzelle. Matuschek schaute erst in den
Innenspiegel, dann schaltete er die Gegensprechanlage wieder an, obwohl
er sich da immer etwas wie ein Voyeur vorkam, musste er sich erst noch
dran gewöhnen.
"Was ist passiert?" fragte er ruhig aber bestimmt.
"Da, im Fernsehen, da ist ein Flugzeug in ein Hochhaus
geflogen." sagte sie völlig aufgelöst.
"Ja ja, wir sind gleich da, zehn Minuten noch, halt
durch", ermunterte Matuschek seine nette Mitfahrerin.
"War bestimmt ein Action Movie, sah aber irgendwie aus
wie eine Nachrichtensendung" sagte sie nachdenklich, rutschte noch ein
bißchen auf dem Sofa hin und her, um sich dann leise schnurrend
zurückzulehnen, Matuschek musste doch öfter mal in den
Innenspiegel schauen.
Am Ziel kniete sie vor der Trennscheibe und schob
Matuschek ihren Personalausweis durch die Öffnung. Matuschek tat
so als wenn
er ihre Adresse abschreiben würde, machte er aber eigentlich nie,
wenn
das Geld nicht innerhalb von zwei bis drei Wochen kam, war meistens
sowieso
nichts mehr zu holen, dann gab er ihr seine Karte mit der
Bankverbindung
und dem Fahrpreis, sowie den Personalausweis zurück.
"Geil, ich gehe morgen sofort zur Bank", hauchte sie.
Irgendwie schon dachte Matuschek, half ihr noch beim Aussteigen und
wünschte
ihr eine gute Nacht.
Er drehte sich eine Zigarette und fuhr
zu einer dieser
neuen Automaten Tankstellen, hier schmeckt der Café zwar nicht
ganz so
gut, dafür spuckt der Nachbarautomat einen leckeren Apfelkuchen
aus,
das brauchte er jetzt.
Kaum
zurück im Taxi, klingelte ein Handy, war
aber
nicht seins, das klingeln kam aus dem Fond. Als er endlich das Handy
und
die Annahmetaste gefunden hatte, war keine mehr dran. Tja, also ab
Richtung
Stadt. Dort bekam er auch sofort eine Funkfahrt vom Halteplatz
Limbecker,
eigentlich wollte er ja mal kurz ins Internet Café, aber was
soll's,
Scheiben hoch und los. Das Etablissement lag auch sofort um die Ecke,
am
Ende der kleinen engen Einbahnstraße, just arrived, kam der
Fahrgast
auch schon auf Matuschek zu, also Handbremse angezogen und gewartet.
Der
Fahrgast ging zielstrebig auf die hintere rechte Tür zu und
rüttelte
daran, dann schrie er, "Geht nicht auf".
Trottel, dachte Matuschek, stieg aus und
überzeugte sich davon das diese Tür nicht aufging, leider
gingen jetzt auch alle anderen Türen nicht mehr auf, auch die
Fahrertür war zugefallen und wollte sich jetzt partout nicht mehr
öffnen lassen. Auch durch
das Hupen des Fahrers des Wagens, der hinter dem Taxi stand
ließen
sich die Türen nicht erweichen.
Matuschek erinnerte sich jetzt schwach an eine
nebenbei
geäußerte Erklärung von ... wie hieß noch mal
gleich der Besitzer dieses vor sich hintuckernden englischen Taxis, an
den Matuschek für die drei Tage empfohlen worden war, Detlef? Die
drei Schalter in der Mittelkonsole wären für den rechten
Scheibenheber, den linken Scheibenheber
und die, äh Zentralverriegelung? Tja, dafür waren sie wohl
gedacht.
Glücklicherweise war die Innenbeleuchtung noch
intakt, so konnte Matuschek sehen das die beiden Handys und sein
Notizbuch noch
da waren, auch der Motor lief erstaunlich ruhig, das änderte
Matuschek
jetzt erstmal, denn ein LTI Taxi hat vorne vor der Motorhaube einen
Ausschalter, das hatte Matuschek sich gemerkt, jetzt wußte er
auch warum. Er hatte jetzt
auch ein drittes
Handy, hatte ihm der nette Fahrer des Wagens hinter ihm angeboten, an
die
ersten beiden kam er ja auch momentan nicht ohne Gewaltanwendung heran,
das Problem war eine vernünftige Telefonnummer, Telefonseelsorge,
nee,
ADAC, nee, war Matuschek schon vor Jahrzehnten aus verkehrspolitischen
Gründen
ausgetreten, Polizei, ach irgendwie auch blöd, sein Unternehmer,
ja, jaah, diese
Nummer musste er erinnern.
"Halöle Möllerchen hier, wer denn da?"
"Äh, können sie mir mal den Herrn Fels
geben?" Matuschek hatte irgendwie ein nicht so gutes Gefühl, die
Stimme war
nett, sympathisch, klang aber auch fremd und hier nicht erwartet.
"Nein, sowas hartes habe ich hier nicht."
"Na, dann! Ich muss noch mal anrufen", sagte Matuschek
zu dem netten jungen Mann neben ihm, dieser stand hier jetzt ganz
allein, Matuscheks Fahrgast und die FahrerInnen der vier anderen Autos
hinter dem Taxi waren verschwunden, rückwärts durch die
Einbahnstraße, darf man dat denn?. Matuschek konzentrierte sich
und setzte damit nicht nur eine
Telefonkette sondern auch ca. zwanzig Minuten später das London
Taxi
in Gang. Detlef war auch ganz verständig, wofür gibt es denn
Zweitschlüssel, nee.
Nachdem Matuschek dann einen Fahrgast,
der sich die
letzten Minuten des Spektakel angesehen und die Gelegenheit genutzt
hatte, sich
nach erfolgreichem Öffnen der Fahrertür, nach Hause bringen
zu
lassen, abgesetzt hatte, fuhr er zu seinem zweiten Lieblingshalteplatz
um zu
verschnaufen. Gerade als er im Rückspiegel seine Kollegen
beobachtete, mittlerweile war es hell geworden, lange Schicht mal
wieder, klingelte ein Handy.
"Hast
du schon gehört?"
Matuschek erkannte Smilla jetzt sofort an ihrer süßen
Stimme, war aber verwundert
das sie die Nummer des gefundenen Handys kannte, bis ihm einfiel das
er ja 'sein' Handy in der Hand hielt.
"Nein" antwortete er wahrheitsgemäß.
"Die Flugzeugattacken auf das WTC und das Pentagon"
Matuschek hatte heute einen eher melancholischen Tag,
eigentlich gar nicht seine Art, und daher dem frühen Chet Baker
oder gelegentlich dem Navigator gelauscht. Er
ließ sich von Smilla kompetent die
Nachrichtenlage erläutern, verabredete sich mit ihr für die
nächste Nacht
im Internet Café und brachte dann seinen Fahrgast, der sich
dezent in den
Fond
geschlichen hatte, nach Werden, einem südlichen Essener Vorort.
Während der Fahrt versuchte er den
Navigator
dazu zu bringen ihm die aktuellen Meldungen des Deutschlandfunks zu
übermitteln, was ihm auch nach einigen Minuten gelang, so konnte
er die ganze Nacht den Sondermeldungen und Krisenberichten lauschen.
Morgens schaute er sich noch auf seinem Pocket TV neben dem PC die
dazu passenden Videoaufnahmen an, laß seine eMails, trank ein
Glas Merlot und schlief dann ein.
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